
Wenn Jürgen Becker zur „Deine Disco“-Nacht einlädt, dann verwandelt sich das traditionsreiche Pantheon in Bonn nicht nur in einen Comedy-Tempel, sondern auch in einen Ort des kollektiven musikalischen Erinnerns – und der gepflegten Entgleisung. Am Freitag Abend war es wieder soweit: Der rheinische Kabarett-Altmeister präsentierte seine persönliche Hitparade aus Jahrzehnten deutscher Popgeschichte – mit reichlich Witz, politischen Seitenhieben und viel Herz für die kleinen Missverständnisse zwischen Tonspur und Zeitgeist.
Becker als DJ, Conférencier und Chronist
Mit dem Mikrofon in der einen und der Vinyl-Single in der anderen Hand führte Becker durch den Abend wie ein gut gelaunter Radiomoderator aus den 70ern. Zwischen BAP, Nena, Geier Sturzflug und Nicole wurde nicht einfach nur Musik gespielt – sie wurde seziert, gefeiert, verlacht. Becker erzählte Anekdoten aus Jugendtanztreffs, zitierte aus alten Bravo-Ausgaben und zeigte auf, wie harmlos subversiv oder subversiv harmlos deutsche Popmusik oft war – etwa wenn „Major Tom“ plötzlich zu einem Gleichnis für politisches Abheben wird oder „Skandal im Sperrbezirk“ zur moralischen Grenzerfahrung der CSU.
Zwischen Diskokugel und Denkanstoß
Was „Deine Disco“ besonders macht, ist Beckers Talent, zwischen Schallplatte und Pointe überraschend viel Gesellschaftskritik unterzubringen. Ohne moralischen Zeigefinger, aber mit einem süffisanten Grinsen zeigte er, wie Lieder wie „Hurra, hurra, die Schule brennt“ oder „Da da da“ mehr über die Bundesrepublik erzählen als so manches Politikbuch. Gleichzeitig schafft er es, das Publikum nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Tanzen zu bringen – zumindest innerlich, denn der Altersdurchschnitt lag irgendwo zwischen „NDW erlebt“ und „Udo Jürgens live gesehen“.
Fazit: Mehr als ein Retro-Abend
„Deine Disco“ ist kein simpler Nostalgieabend, sondern ein kabarettistisch-musikalischer Tanzkurs durch Jahrzehnte deutscher Befindlichkeiten. Jürgen Becker gelingt das Kunststück, Popkultur mit politischer Satire zu verknüpfen – charmant, klug und immer tanzbar. Wer zwischen Ohrwurm und Ohrfeige gerne beides mag: hingehen, zuhören, mittanzen.
Text: Dennis Kresse
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