„Wir lieben Madonna genauso wie Terrorgruppe.“

kamikaze über DIY, Pop-Punk-Spannung und ein Debütalbum zwischen Intimität und Aufbruch

kamikaze über Widersprüche, Einflussräume und ihr kommendes Album

Ihr beschreibt euren Sound als Mischung aus verträumter Melancholie und rebellischer Euphorie. Wie haltet ihr diese Balance?

Für uns sind das keine Gegensätze. Diese Mischung entsteht oft intuitiv aus einer Stimmung heraus, aber wir nutzen auch bewusst bestimmte Klangästhetiken. Manchmal kippt das Verhältnis – genau das sorgt für Spannung. Im Kern spiegelt der Sound unsere eigenen Widersprüche: nachdenklich, verträumt und trotzdem voller Aufbruchswillen.

Seit 2017 lebt ihr eine klare DIY-Philosophie. Wie definiert ihr DIY heute?

DIY prägt uns komplett: Wir produzieren selbst, kümmern uns um Booking, Artwork und behalten dadurch die volle Kontrolle. Es ist künstlerisch, organisatorisch und politisch relevant – ein Gegenentwurf zu Strukturen, die Kreativität begrenzen. Gleichzeitig ist DIY manchmal auch einfach pragmatisch. Unsere Einflüsse reichen dabei von Dischord Records über Crypt Records bis hin zur Riot-Grrrl-Bewegung.

2026 erscheint euer erstes Album. Wie habt ihr eure Lo-Fi-Ästhetik weiterentwickelt?

Lo-Fi war bisher ein wichtiger Teil unseres Sounds. Für das Album wollten wir einen moderneren, frischeren Klang – ohne die rohe Energie zu verlieren. Nicht zu glatt, nicht zu retro. Die richtige Balance zu finden war die größte Herausforderung. Dass das funktioniert hat, hat uns selbst überrascht.

Eure Texte wirken verletzlich, aber gleichzeitig rebellisch. Woher kommen sie?

Jessi: Die Texte sind immer beides: persönlich und politisch. Sie entstehen aus Momenten, Erinnerungen, aber auch aus dem Drang, etwas über die Welt zu sagen. „Stop the Sky“ wurde z. B. durch eine Nico-Biografie inspiriert – diese Mischung aus Selbstzerstörung und Selbstbestimmung hat mich sehr beschäftigt. Persönliche Kämpfe treffen dort auf eine gesellschaftliche Perspektive.

Ihr kommt aus Köln und Düsseldorf. Wie prägen euch diese zwei Szenen?

Vor allem die Düsseldorfer Vergangenheit mit Punk, Videokunst und bewusstem Dilettantismus inspiriert uns. Bands wie Fehlfarben, Male, KFC oder DAF hatten eine enorme kreative Strahlkraft. Heute fühlt sich Köln kulturell lebendiger und vielseitiger an. Mit den aktuellen Szenen beider Städte haben wir aber wenig Kontakt – wir sind eher introvertiert und finden noch keinen echten Anknüpfungspunkt. Prägend ist für uns mehr das Großstadtleben allgemein.

Ihr habt schon Acts wie Death Valley Girls und The Exbats supportet. Was habt ihr dabei gelernt?

The Exbats waren ein Highlight: tolle Songs, großartige Live-Energie und ein super sympathisches Duo. Das Konzert kam für uns in einer Phase, in der wir noch nicht sicher waren, ob wir das Album machen wollen – das hat uns gepusht.

Von den Death Valley Girls haben wir gelernt, wie wichtig Bühnenenergie ist. Es geht darum, das Publikum wirklich mitzunehmen. Solche Supports sind immer eine Schule und ein Motor.

Bei euch trifft Pop auf Punk. Gab es je Diskussionen, „zu poppig“ oder „zu roh“ zu klingen?

Nein. Wir hören Madonna und Terrorgruppe – da existiert kein Widerspruch. Schon in den 70ern war viel Pop im Punk, später noch mehr im Post-Punk und New Wave. Unsere EP „Bite Back“ ist das beste Beispiel: roh wie Garage-Punk, aufgenommen auf einem Tascam-4-Spur, aber minimalistisch poppig aufgebaut. Manche finden das „zu simpel“ oder „zu spröde“. Uns macht es Spaß, genau solche Erwartungen zu brechen.

Eure Musik wirkt sehr visuell. Welche Kunstformen inspirieren euch?

Filme, Videokunst, Comics, Street Art – und Christoph Schlingensief. Dazu Architektur, Brutalismus, russische Avantgarde, Film Noir und die Bildwelten der Musikvideos der 90er und 2000er. Diese visuelle Ebene ist Teil unseres Gesamtbilds, auch wenn Musikvideos heute weniger relevant sind als früher.

Zwei ausverkaufte EPs ohne Majorstruktur – was bedeutet euch eure Community?

Wir relativieren: Die Auflagen sind kleiner, dadurch sind Kassetten schneller vergriffen. Aber klar: Wir freuen uns enorm über Menschen, die kleine Bands unterstützen und deren Musik physisch kaufen. Viele Kontakte entstanden über unser konsequentes DIY-Arbeiten. Nach einer längeren Pause sind wir wieder aktiver auf Social Media – der Austausch dort motiviert uns sehr.

Was wünscht ihr euch für euer Debütalbum 2026?

Jessi: Dass es als vielseitig wahrgenommen wird. Ich habe mich viel mit Arbeiten anderer FLINTA*-Künstlerinnen beschäftigt – Tove Ditlevsen, Cassie Ramone, Tracey Emin, Debbie Harry. Diese Einflüsse und viele persönliche Themen fließen ins Album.

Flo: Mir ist wichtig, dass es als Album wahrgenommen wird – nicht als Sammlung von Singles. Die Reihenfolge, der rote Faden, unsere Klangästhetik: Das alles gehört zusammen. Wenn das für die Hörer*innen spürbar wird, ist unser größter Wunsch erfüllt.

Fragen: Dennis Kresse

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