Songs of a Lost World live: The Cure spielen Zukunft, bevor sie Geschichte feiern!

Mit The Show of a Lost World erscheint eine Konzert-DVD, die die ganze emotionale und musikalische Spannkraft eines Cure-Abends einfängt – dunkel, episch und zugleich überraschend konsequent. Statt neue Songs zwischen Klassikern zu verstecken, wählen The Cure einen mutigen Weg: Sie spielen ihr aktuelles Album Songs of a Lost World komplett und chronologisch, bevor sie überhaupt an die Hits denken. Das verleiht dem Konzert eine dramaturgische Schwere und Intensität, die man bei Live-Produktionen dieser Größenordnung selten erlebt.

Die erste Hälfte wirkt wie ein durchgehender, atmosphärischer Trip, getragen von Robert Smiths Stimme, die hier verletzlicher und zugleich fokussierter klingt als in vielen früheren Aufnahmen. Jeder der neuen Songs wirkt wie ein Kapitel, das nahtlos ins nächste übergeht, bis man das Gefühl hat, die Band spiele nicht Songs, sondern einen einzigen großen Gedankenzustand. Die Kamera nimmt diese innere Spannung sensibel auf: Closer Shots von Smiths Gesicht, lange Einstellungen der Gitarrenfiguren, viel Nebel, reduzierte Farben – ganz The Cure, aber so pur, wie man es lange nicht gesehen hat.

Erst danach öffnen sich The Cure für die Klassiker – und das wirkt wie ein Stimmungswechsel, ohne die Ernsthaftigkeit des Abends zu brechen. Wenn „Pictures of You“, „Lovesong“ oder „A Forest“ einsetzen, spürt man ein kollektives Aufatmen, aber auch eine neue Tiefe. „A Forest“ wird zu einem der Höhepunkte des gesamten Konzerts, ein hypnotisches Crescendo, das nach der musikalischen Reise zuvor fast rituell wirkt.

Auch die späteren Hits wie „Lullaby“, „Friday I’m In Love“ oder „Just Like Heaven“ werden nicht als leichte Zugeständnisse ans Publikum gespielt, sondern als emotionale Kurzpausen – Momente, in denen Licht durch die Dunkelheit bricht. Die Band wirkt in dieser Phase gleichzeitig gelöst und vollständig in ihrer eigenen Welt.

Und dann kommt der Moment, der das Konzert endgültig abrundet: Als allerletztes Stück spielen The Cure „Boys Don’t Cry“. Keine ironische Zugabe, kein flapsiges Finale – sondern ein fast zärtlicher, verletzlicher Abschluss, der den Abend zurück auf die Essenz dieser Band führt: große Gefühle, verpackt in Einfachheit und Ehrlichkeit. Es ist ein wunderbarer Schlusspunkt, der den Bogen von den neuen Songs zurück zu den frühen Jahren schlägt, ohne jemals nach Nostalgie zu klingen.

Musikalisch präsentiert sich die Band auf der DVD in beeindruckender Form. Reeves Gabrels setzt mit seinen Gitarrenbögen kantige Farbtupfer, Simon Gallups Bass pulsiert gewohnt wuchtig und tief, während die Rhythmussektion und die Keys dem Ganzen eine warme, organische Textur verleihen. Der Soundmix ist klar, kräftig und zugleich roh genug, um das Live-Gefühl nicht zu glätten.

The Show of a Lost World ist kein leichtes Nebenbei-Konzert, sondern ein atmosphärischer Monolith, der Zeit braucht – und belohnt. Eine konsequente, schwere, wunderschöne Cure-Show, die zeigt, warum diese Band live immer noch zu den intensivsten Erlebnissen der Alternative-Welt zählt. Für Fans ein Pflichtkauf, für Neulinge ein intensiver, aber großartiger Einstieg, und für alle ein Beweis, dass Robert Smiths Welt auch 2025 nichts von ihrer emotionalen Strahlkraft verloren hat.

Text: Dennis Kresse

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