Interview mit….

Soundchecker. Koeln hat einige Fragen an Peter Clemm gestellt, einer der seit Jahren als einer von drei Überzeugten, mit viel Herzblut, einer Menge Mut und noch mehr Pioniergeist eins der schönsten SKA-Festivals in der Bunten Republik Deutschland veranstaltet. In Köln, besser gesagt im vielfach ausgezeichneten Gebäude 9 kann man sich seit dem Jahr 2013 über eine Musik freuen, die ihresgleichen sucht. Dieses Jahr kann sich das Publikum des Freedomsoundsfestivals am 21. und 22. April auf Konzerte von Winston Francis, Stone Fondation und vielen anderen etablierten SKA-Acts freuen. Headliner sind niemand geringeres als die legendären The Beat aus dem englischen Birmingham.

Viel Spaß mit den Antworten von Peter.

Zunächst einmal ein großes Lob an Euch, dass ihr mit so einem Festival seit vier Jahren an den Start geht? Warum ein Festival?

Ich habe vor 35 Jahren mein Herz an Ska verloren, seit ich das erste Mal Madness gehört habe. Auch wenn seitdem viel andere Musik dazu kam und die anderen beiden, die den Kern des Orgateams bilden, nicht nur, aber eben auch gerne Ska hören, bin ich dem Ska und der Szene doch immer treu geblieben. Deshalb fand ich es auch traurig mitzuerleben, dass selbst die Konzerte von sehr guten und renommierten Bands immer schlechter besucht waren. Also haben wir mit ein paar Freunden überlegt, was man tun kann. Als erstes fingen wir an, einen monatlichen Newsletter herauszugeben, damit möglichst viele Leute mitbekommen, wenn ein cooles Event ansteht. Um den Newsletter attraktiver zu machen, fragen wir immer lokale Veranstalter, ob sie uns ein paar Gästelistenplätze zur Verfügung stellen. Das machen wir inzwischen seit viereinhalb Jahren und es klappt immer besser, weil selbst Bands wie Madness oder die Specials mitgemacht haben, als sie in der Stadt gespielt haben. Inzwischen haben ihn etwa 800 Leute abonniert, was beweist, dass es doch noch viele Leute gibt, die auf Ska stehen. Wenn ihr den Freedom Sounds Newsletter abonnieren wollt, könnt ihr das übrigens ganz einfach hier tun.

Der zweite Gedanke war, dass Köln endlich (wieder) ein vernünftiges Ska-Festival brauchte. Wir sprachen ein paar Veranstalter an und sagten ihnen unsere Unterstützung zu, aber wir bekamen immer zu hören: „Mit Ska kann man kein Geld verdienen.“ Das stimmt zwar, aber weil es uns von Anfang nicht um Geld, sondern nur um die Musik ging, haben wir ein erfolgreiches Festival auf die Beine gestellt. Um das Festival zu veranstalten, haben wir einen gemeinnützigen Verein gegründet, Förderanträge gestellt, Bittbriefe geschrieben und sehr viel Zeit investiert. Das hat sich gelohnt, denn in diesem Jahr machen wir es zum fünften Mal. Im Rückblick können wir es selbst manchmal kaum glauben, welche Hochkaräter schon hier aufgetreten sind. Glücklicherweise haben wir uns damit von Anfang an ein sehr treues und jedes Jahr ein wenig weiter wachsendes Publikum erspielt, so dass wir es bisher immer geschafft, die Veranstaltung so zu finanzieren, dass wir nicht drauf zahlen mussten.

Warum ausgerechnet Ska?

Nun, wenn man genauer hinschaut, steht Ska im Vordergrund, aber unsere Idee war von Anfang an, das Festival auch für andere Genres zu öffnen, die wir gerne hören – daher unter anderem der Name Freedom Sounds.

Welche legendären Ska Band darf man in den kommenenden Jahren noch erwarten? The Specials, The Busters oder gar Madness? Oder ist das eigentliche Highlight das Festival selbst?

Uns ist das Line-up sehr wichtig, es ist also auf keinen Fall so, dass es eine untergeordnete Rolle spielt, wer denn nun auftritt. Wir versuchen, das bestmögliche Line-up auf die Beine zu stellen, was der finanzielle Rahmen zulässt. Dabei gehen wir immer an die Grenzen, d.h. der Breakeven liegt knapp unter Ausverkauft. Allerdings müssen wir nicht unbedingt große Namen haben, um ein großes Line-up zu bekommen. Gemessen an ihrem geringen Bekanntheitsgrad treiben wir oft hohen Aufwand für einzelne Acts, wenn wir sie unbedingt haben wollen und denken, dass sie gut ankommen werden.  The Specials oder Madness würden allerdings jeweils alleine weit mehr Geld kosten als unser Gesamtbudget beträgt. Eine Preisklasse darunter ist aber eigentlich fast alles möglich. Wenn uns eine Band gefällt und die Bock haben, hier zu spielen, dann finden sich immer Wege. Das ist das Schöne an der Skaszene: Du hast es fast nie mit Künstlern zu tun, die nur am Geld interessiert sind – was wahrscheinlich daran liegt, dass man dann keinen Ska machen würde.

Wie viele Prozent ist der Spaßanteil und wie viele Prozent ist echte Veranstalterarbeit?

Das kann man gar nicht in Beziehung setzen, weil es sich nicht ergänzt und weil man die Energie und Zeit, die man ins Festival steckt nicht als Arbeit verstehen darf. Es ist ein Hobby, das, wie die meisten Hobbies, auch mal stressig werden kann. Viel wichtiger ist der Spaß. Der Moment, wenn der Saal sich füllt und du hunderte glückliche Menschen tanzen und singen siehst, am besten noch bei einer Band, die kaum einer vorher kannte, ist mit das Schönste. Wir haben mit den Jahren auch gelernt, das Festival selbst bewusster zu genießen. Ich weiß noch, wie beim ersten Mal die letzte Zugabe zu Ende ging und ich dachte: „Der Abend hat doch gerade eben erst angefangen. Habe ich das alles gerade nur geträumt?“

Das Gebäude 9 sollte geschlossen werden, eure Homebase, hattet ihr einen Plan B in der Tasche oder wäre es das für das Festival gewesen?

Nein, einen Plan hatten wir nicht. Wir haben, wie viele andere Freunde des Gebäude 9s auch, ohne viel nachzudenken gekämpft und gesiegt. Wenn es so gekommen wäre? Wir hätten bestimmt überlegt, woanders weiter zu machen, aber ich wüsste nicht wo. Wir haben vor dem ersten Mal bei einigen Clubs angefragt, die aber alle kein echtes Interesse an der Musik und dem Konzept hatten. Da kamen dann so lustige Vorschläge wie: „Könnt ihr hier machen, aber um 23 Uhr müsst ihr raus ein. Dann fängt unsere Techno-Disko an.“

Was ist eure Motivation, nach den sterbenden Festivals in den letzten Jahren doch immer weiterzumachen?

Unsere Motivation ist, den Leuten, die uns jedes Jahr auf die Schulter klopfen und sagen, dieses Jahr könnt ihr nie wieder toppen, zu zeigen, dass wir es doch können. Im Ernst: Es gibt so viele gute Musik da draußen, die ein Publikum verdient. Jedes Jahr könnten wir locker auch 40 oder 50 tolle Acts auf die Bühne bringen, so dass unsere Wunschliste eher immer länger wird. Wenn wir einen Beitrag dazu leisten könne, dass die eine oder andere Band durch den Auftritt bei uns, neue Fans findet oder vielleicht sogar mal den Durchbruch in den Mainstream schafft, das wäre toll. Eine Band, auf die das zu treffen könnte, sind Stone Foundation. Vor zwei Jahren waren sie zum ersten Mal beim Freedom Sounds (und in Deutschland überhaupt) und begeisterten viele Leute. Weil das auch total nette Menschen sind, riss der Kontakt nie ab. Jetzt haben sie einen großen Plattendeal, veröffentlichen ein Album und touren mit Paul Weller. Ihre neue Single steht in den englischen Charts. Und trotzdem wollten sie unbedingt noch mal bei uns spielen. Es sind Geschichten wie diese, die uns motivieren.

Was ist eure Lieblings-Skanummer?

Ach, da gibt es so viele. Aber „Freedom Sounds“, am liebsten in der langsameren Version von den „Soul Brothers“ steht natürlich ganz weit oben. Außerdem haben einige Bands bei uns, die Gelegenheit genutzt und tolle Versionen live gespielt, die Soothsayers zum Beispiel:

Was war der schönste Moment auf dem Festival oder ist es der, wenn man nach dem Festival ein Resümee zieht?

Wir sind vorher und in den ersten Stunden schon immer ziemlich angespannt: Haben wir an alles gedacht? Werden alle Bands rechtzeitig da sein? Streikt eine Airline oder verpasst jemand die Fähre? Kommen auch genügend Leute? Gefällt denen das überhaupt? Irgendwann am frühen Freitagabend kommt der Moment, wo das auf einmal von dir abfällt und sich alles ineinander fügt. Dann kann einen nichts mehr erschüttern und wir genießen einfach nur noch den Abend. Für mich ist das der Moment.

Ich vermisse bei euren Tickets, die zwar schon sehr fair gepreist sind, aber auch ein Entgegenkommen für Behinderte und Arbeitslose, wäre das nicht ein weiterer sozialer Aspekt eines politischen Festivals?

Da muss ich ein wenig widersprechen. Unser Ansatz ist, dass alle, die das Festival besuchen wollen, das auch tun können. Man muss aber auch aufpassen, dass man nicht durch die Gestaltung der Eintrittspreise Ungerechtigkeiten oder sogar Diskriminierung schafft. Wir haben zum Beispiel ein Konzept zur Barrierefreiheit: Schwerbehinderte dürfen eine Begleitperson gratis mitbringen, damit ihnen der Besuch ermöglicht oder erleichtert wird. Das wird auch rege angenommen. Zum Beispiel haben wir jedes Jahr eine Gruppe von Schwerbehinderten zu Gast, die großen Spaß hat. Andererseits hat aber nicht jeder, der eine Behinderung hat auch automatisch zu wenig Geld.Wir haben auch über Arbeitslose bzw. Hartz IV-Empfänger nachgedacht, aber keine befriedigende Lösung gefunden. Das fängt schon damit an, dass wir das ja irgendwie überprüfen müssten. Stell dir vor, Gäste müssten an der Kasse einen Nachweis vorlegen, dass sie Hartz IV beziehen. Das wäre hochgradig diskriminierend. (Anmerkung der Redaktion: Aber sowas von) Bei Schülern, Azubis und Studenten sieht das anders aus. Die haben in der Regel auch knapp Geld und einen Studentenausweis vorzulegen, stellt niemanden bloß. Außerdem wollen wir dazu beitragen, dass wieder mehr junge Menschen entdecken, wie wunderbar Ska ist. Die Eintrittspreise sind so kalkuliert, dass es für alle möglichst günstig ist. Wenn es bei einigen knapp wird, dann können sie das Early Bird Ticket nutzen oder ihr Glück bei einer der Verlosungen unserer Partner (Stadt-Anzeiger, Stadtrevue, Cosmo oder Lonsdale) zu gewinnen.

Welche Anekdote könnt ihr unseren Lesern erzählen?

Als ich etwa 16 Jahre alt war, habe ich in akribischer Feinarbeit das Beat-Girl, das sich auf dem Cover des Debütalbums „I Just Can’t Stop It“ hinten drauf befindet, an meinen Kleiderschrank gemalt – in Lebensgröße.

Das war Mitte der 80er Jahre, also lange vor dem Internetzeitalter. Damals an Platten oder auch nur Informationen über deine Lieblingsbands ranzukommen, war richtig aufwändig. Die Distanz zwischen einer coolen Band aus den englischen Charts und einem jugendlichen Fan in der ostwestfälischen Provinz war unermesslich. The Beat hatten sich gerade aufgelöst und ich hatte mir also mein ganz persönliches Denkmal gebaut. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich eines Tages mal selbst ein Ska-Festival mit auf die Beine stellen würde, hätte ich das nie für möglich gehalten. Und in diesem Jahr werden The Beat bei uns spielen – weil ich sie eingeladen habe. Das wird einer dieser Momente…

Vielen Dank für die tollen Antworten und wir sehen uns im April.

Links:

Homepage: Freedom Sounds Festival
Facebook: Freedom Sounds Festival
Twitter: Freedom Sounds Festival
Tickets: Freedom Sounds Festival

Interview: Dennis Kresse
Bild 2: Credits: Jim Stokes (The Beat)

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