
Indie-Newcomer veröffentlichen eindringliche Single über Selbstfindungsdruck und sammeln mit ihrer Community Tipps zur Therapieplatzsuche.
Seit 2023 veröffentlicht die Stuttgarter Indie-Band ZWEIFEL deutschsprachige Alt-Pop-Songs mit entwaffnend persönlichen Texten und spielt sich damit zunehmend in die süddeutsche Musikszene. Auftritte beim renommierten KESSEL FESTIVAL, Features bei RegioTV und wachsende Aufmerksamkeit der hiesigen Community markieren ihren bisherigen Weg.
Mit ihrer vierten Single KINDER WERDEN ALT stellen ZWEIFEL die Frage nach der eigenen Identität in einer überfordernden Gegenwart. Zwischen markantem Gitarrenriff und treibenden Drums verhandelt der Song den Wunsch nach Authentizität in einer Generation, die zwischen Therapieplatzsuche und Selbstbehauptung pendelt („»I‘m the most fun at parties that I‘m not part of« sagen und so tun als tät‘s nich weh“).
Wir haben das zum Anlass genommen uns mit Zweifel zu einem Interview zusammenzusetzen.
Soundchecker.Koeln: Euer neuer Song ist auf der Heimfahrt nach einer Therapiesitzung entstanden. Wie hat dieser Moment eure Kreativität beeinflusst?
Zweifel: Ich glaub ausschlaggebend war weniger die Heimfahrt als die Sitzung selbst. Man gräbt ja eine Stunde lang in seinem Innersten und findet Zeugs, das zum Teil jahrelang sehr gut versteckt war. Das bringt so viel ans Licht, was man eigentlich aufschreiben muss, um es nicht sofort wieder zu verdrängen. Und im besten Fall reimt sich das dann.
Die zentrale Frage lautet: „Wie authentisch kann ich sein, wenn ich nicht weiß, wer ich bin?“ – wie kamt ihr auf diesen Gedanken, und wie spiegelt er sich im Song wider?
Unsere Gesellschaft verlangt Authentizität. Immer und überall. Aber was, wenn man gar nicht weiß, was das eigene ‚authentisch‘ ist? Gerade, wenn man sich sehr lange verstellt hat, um irgendwo dazuzugehören, muss man erstmal wieder die echte, unverstellte Version von sich selbst finden. Und at some point macht das keinen Spaß, sondern wütend. Davon erzählt der Song.
Musikalisch verbindet ihr ein grooviges Gitarrenriff mit einer eingängigen Hook. War es euch wichtig, trotz schwerem Thema eine gewisse Leichtigkeit im Sound zu behalten?
Ja, absolut. Wir wollen grundsätzlich, dass unsere Songs auch Bock machen, wenn man mit den Themen nix am Hut hat. Joel hatte dann hier die Idee, fürs Drumming seine HipHop-Einflüsse reinzupacken, Jupps Bassspiel kommt da auch sehr geil. Und Maxi, der den Song in Eigenregie produzierte, schlug bewusst ein weniger ‚erschlagendes‘ Arrangement vor als beispielsweise auf unserer Debütsingle ‚IRGENDWO IM PARADIES‘.
Wie viel von euch selbst steckt in diesem Song – und wie leicht oder schwer fällt es euch, so autobiographisch zu schreiben?
Jede Zeile ist wahr. Wir alle in der Band feiern es, wenn Songs sich komplett nackt machen und ungeschönt erzählen. Für mich als Texter hat sich irgendwie rauskristallisiert: Wenns mir beim Schreiben weh tut, weiß ich, dass es echt ist. Womit wir dann irgendwie doch wieder beim Thema Authentizität wären, haha.
Gab es im Studio oder bei den Proben Momente, in denen euch die Nähe zum Thema fast zu intensiv wurde?
Überraschenderweise eher das Gegenteil. Es tat nach ein paar Durchläufen sogar ziemlich gut, so ein diffuses, belastendes Gefühl in ein Lied gegossen zu haben. Dennoch gab es Momente, die ziemlich konfrontativ waren. Ich hab mich zum Beispiel allein im Proberaum eingeschlossen und gefilmt, um zu üben, mich auf der Bühne natürlicher zu bewegen. Paradox, haha. Das Footage danach anzuschauen war sehr unangenehm.
Ihr habt erzählt, dass euch seit den Live-Auftritten viele Nachrichten von Menschen ohne Therapieplatz erreichen. Wie geht ihr damit um, wenn Fans euch so persönliche Geschichten anvertrauen?
Wir sind keine Therapeut*innen und wollen uns das auch nicht anmaßen. Gleichzeitig vertrauen uns Menschen sehr persönliche Geschichten an, da merken wir schon sehr, wie wichtig es ist, über diese Struggles zu sprechen. Uns berührt es, wenn jemand sagt, sie oder er erkennt sich in unseren Songs wieder. Deshalb wollen wir zumindest Sichtbarkeit schaffen – und haben angefangen, auf unserer Website Tipps und Hilfestellungen zu sammeln, die anderen den Weg zu einem Therapieplatz erleichtern können.
Merkt ihr, dass das Publikum auf diesen Song anders reagiert als auf andere Stücke?
Wie die Reaktionen auf die Studioversion ausfallen, wissen wir ja erst nach VÖ – aber jedes Mal, wenn wir den bisher bei Konzerten gespielt haben, platzte irgendwie nochmal so ein Knoten im Publikum. Das merken wir dann schon auch bei den Gesprächen hinterher, wenn explizit nach dem Song oder seinem Inhalt gefragt wird.
Ihr bietet auf eurer Website Tipps und sogar eine Mailvorlage an, um schneller an einen Therapieplatz zu kommen. Wie kam es zu dieser Idee?
Die Idee kam zum Großteil aus dem Kontakt mit unserer (fantastischen) Community. Viele Menschen haben uns geschrieben, dass sie keinen Therapieplatz finden – und wir wollten nicht einfach nur ‚Danke fürs Teilen‘ sagen. Natürlich gibt es viele andere Anlaufstellen, aber wir haben noch keine andere Band gesehen, die das aktiv aufgreift. Für uns war es wichtig, unsere Plattform als Brücke zu nutzen und eine Hilfestellung direkt auf unserer Website anzubieten.
Welche Rückmeldungen habt ihr bisher auf die Aktion erhalten – und wie fühlt es sich an, wenn eure Community das Projekt weiterträgt?
Die Reaktionen sind toll! Manche machen eigene Creations zum Thema, andere verlinken unsere Seite, wenn jemand öffentlich nach Hilfsangeboten sucht. Und am meisten freut es uns natürlich, wenn Menschen am Merch dann erzählen, dass ihnen das Mut macht oder in irgendeiner Form tatsächlich schon weitergeholfen hat.
Glaubt ihr, dass Musik auch eine Art Brücke sein kann, um über psychische Gesundheit offener zu sprechen?
Unbedingt. Kunst ist ja immer eine emotionale Ausdrucksform und ein Ventil. Wenn jemand sagt ‚ich kann mit dem und dem Song ein bisschen zu gut relaten, vielleicht sollten wir da mal drüber sprechen‘, dann kann das ein leichterer Einstieg sein, als von null anfangen zu müssen.
Wird das Thema mentale Gesundheit auch in euren kommenden Songs eine Rolle spielen?
Definitiv. Vielleicht nicht in jedem Song so auf die Zwölf, aber das Thema tauchte bisher in jeder Nummer zumindest unterschwellig auf und ist uns sehr wichtig. Wir wollen noch über viele Facetten schreiben, auch über welche, die man vielleicht gar nicht so auf dem Schirm hat.
Was wünscht ihr euch: Soll euer Song eher Mut machen, trösten – oder beides?
Wir würden nicht sagen, dass der Song ein Mutmacher im klassischen Sinne ist, dafür ist er vielleicht ein bisschen dark. Aber wenn er dafür sorgt, dass sich Menschen ein Stück gesehener und zugehörig fühlen, dann wär das schon schön.
Vielen Dank für das schöne Gespräch!
Fragen : Dennis Kresse
Erzählt von uns:

