Holger Czukay – Cinema (Retrospective) erscheint via Groenland Rec. am 23.03.2018!

Am 24. März 2018 wäre Holger Czukay 80 Jahre alt geworden. Die Vinylbox »Cinema«, die auf fünf Schallplatten assoziativ Holgers fast 60 Jahre währende musikalische Karriere nachzeichnet, war dementsprechend nicht nur als Retrospektive gedacht, sondern auch als Geburtstagsgeschenk, als Ehrung, als Dankeschön. Am 05. September 2017 jedoch stirbt Holger Czukay in seinem Kino in Weilerswist (Köln), dem alten Innerspace-Studio von Can, das er seit den 1970er-Jahren bewohnt, inmitten seiner Instrumente. Er wird neben seiner nur wenige Wochen zuvor nach langer Krankheit verstorbenen Frau Ursula Schüring (geb. Kloss, aka U-She/Ursa Major) begraben, schräg gegenüber liegt sein Freund und musikalischer Begleiter seit Can-Tagen, Jaki Liebezeit (✝2017). Es finden so gleich mehrere musikalische Urgesteine auf dem Kölner Melaten-Friedhof ihre letzte Ruhestätte, ganz nah beieinander.

Ihr Nachlass jedoch hat mit jener Stille des Friedhofs nicht viel zu tun – davon zeugt auch die Retrospektive »Cinema«: Die musikalische Reise beginnt mit der Jazz-Nummer »Konfigurationen«, bisher unveröffentlicht, die der universale Dilettant, wie Holger sich selbst zu bezeichnen pflegte, 1960 mit seinem Jazz-Quintett aufnahm. Es folgen Experimente, musikalische Meditationen, Meilensteine, Stolpersteine, Hits, Raritäten und Ausgegrabenes. Die noch vor Can entstandenen Stücke unter dem Projektnamen Canaxis 5 etwa (mit Rolf Dammers), die 1969 heimlich im Stockhausen-Studio aufgenommen wurden und hier – längst vergriffen – nun ihre Auferstehung feiern, die sich über vier Jahrzehnte streckenden Solo-Arbeiten (wie das zeitlos-tanzbare »Cool In The Pool«), Kollaborationen mit Brian Eno und Cluster, das Projekt Les Vampyrettes (mit Conny Plank) oder Produktionen mit der japanischen Sängerin Phew (mit Plank und Jaki Liebezeit) – und nicht zuletzt die Songs der Jah Wobble-Kollaboration »Full Circle« (ebenfalls mit Liebezeit), die Holger rückblickend zu den Höhepunkten seines kreativen Schaffens zählte. In allen diesen Klängen zeigt sich, wie vielseitig und erfinderisch Holger Czukay als Künstler war – und wie tief seine unkonventionellen Ansätze sich denn unzähligen Zusammenarbeiten einschrieben.

Der Titel »Cinema« kommt dabei nicht von ungefähr, Holger hat ihn sich so gewünscht, war seine musikalische Arbeit doch stets mit dem Kino verbunden. Sein Verfahren, aus der Situation der Aufnahme heraus vermeintliche Sound-Unfälle oder heimliche Aufnahmen in seine Stücke zu integrieren, etwa durch die Verwendung von zufällig gefundenen Radiowellen oder unbemerkten Mitschnitten, schuf musikalische Assoziationsketten, die das sprunghaft Visuelle der Post-Moderne zu Klang brachten, wie man es sonst nur aus dem experimentellen Kino kannte. »Movies«, Titel des ersten Solowerks (1979), war dabei eine Konsequenz aus dieser Affinität zur Filmmusik, die schon seit der »Soundtracks«-Compilation (1970) auch die Geschichte von Can begleitete. Über progressive Songs mäandern da die Bassläufe, mal treibend, häufig gemütlich und schunkelnd, darauf drapiert Geräusche, deren Ursprung nicht immer ganz klar ist. Auf der musikalischen Leinwand offenbaren sie das Malerische in Czukays Klangwelten. Und Holger verfolgte diese Leidenschaft konsequent, sein Film »Krieg der Töne« aus dem Jahre 1987, den er vertonte und in dem er gleich auch noch die Hauptrolle übernahm, liegt der Box exklusiv auf DVD bei.

Die visuelle Musik Holger Czukays, fußend auf seiner meisterhaften analogen Schnitttechnik, hat ihn nicht nur international zu einer Legende gemacht, sondern auch Einfluss auf große Teile der elaborierteren Musikwelt genommen. Zu seinen Bewunderern gehören internationale Größen wie Sonic Youth, Radiohead und Geoff Barrow. Blurs Damon Albarn hat von Czukay gar die Idee zu seiner virtuellen Band Gorillaz gestiftet bekommen. Der stets zu Scherzen aufgelegte Musiker war eine Leitfigur der kreativen Soundbastler. Mit sicherem Gespür für eingängige Rhythmen und Melodien bewegte er sich, 1938 als Holger Schüring in Danzig geboren, stets jenseits der ausgetretenen Pfade, schuf seine eigene klangliche Signatur, einen oft verschmitzten Holger-Sound, den man in seinen Arbeiten mit den Eurythmics, S.Y.P.H., den Bläck Fööss, The Edge von U2, der Zeltinger Band oder auf Platten mit David Sylvian genauso wiederfindet wie im Katalog seiner Band Can. Auch mit Ursa, die er die letzten Jahre bis zu ihrem Tod pflegte, hat Holger Musik aufgenommen, einige der Stücke finden s »Breath Taking«ich zum ersten Mal überhaupt auf Vinyl veröffentlicht, ebenso wie das Stück, auf dem die rar konservierte Stimme Karlheinz Stockhausens zu hören ist.

Die Box lädt dabei auch zu einer musikhistorischen Reise ein, illustriert sie doch anhand von Holgers Lebensweg gleich mehrere musikalische Epochen. Der frühe Jazz der BRD, die Innovation der Krautrock-Ära, das Bad in diversen neuen Wellen, die elektronischen Experimente: Holger war überall dort zuhause, wo etwas passierte. Und er hat Spuren hinterlassen. Zwischen Linernotes, raren Fotografien, einem Zeitstrahl und diskografischen Angaben tauchen im aufwändigen Booklet der Vinylbox immer wieder Statements und Anekdoten von Musizierenden, die ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen oder in Erinnerungen an einen großen Künstler schwelgen. Sie alle sind sich einig: Holger Czukay hat einen festen Platz in der Musikgeschichte. Er wird niemals vergessen werden.

Die von Hendrik Otremba kuratierte Holger Czukay Retrospektive »Cinema« erscheint am 23. März 2018 als 5-LP-Box (+ Film »Krieg der Töne« + VinylVideo und umfangreichem Booklet) und als 5-CD-Box bei Grönland Records.

Text: Pressemitteilung

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