Barbara Morgenstern – Neues Album

BARABARA MORGENSTERN UNSCHULD & VERWÜSTUNG Album am 19.10.2018

Hagen ist ein Transitort. Eine Stadt im Ruhrgebiet, die als Tor zum Sauerland gilt. Was die Popgeschichte in Deutschland angeht wird Hagen aber für immer einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Nena, die Humpe-Schwestern, Julia Hummer und nicht zuletzt Barbara Morgenstern. Alles Hagenerinnen. Aber wie es sich für Transitstädte gehört, mussten sie alle erst diesen Ort verlassen um ihre Kunst zu verfeinern und damit berühmt zu werden. Barbara Morgenstern zog es über Hamburg nach Berlin und kam dort über die Wohnzimmer-Szene zu Gudrun Guts Monika Enterprise und wurde mit ihrem eigenwilligen Sound zwischen Electronic, Songwriting und Folk schnell zur gefeierten Sensation. So eine verwunschene Musik hatten die Pop-Expert*innen seit dem Canterbury Sound nicht mehr gehört. Nur dass die Canterbury-Szene noch keinen Techno kannte und ein ziemlicher Männerverein war. Es ist jedenfalls nicht weiter verwunderlich, dass Barbara Morgenstern 2008 mit ihrem erklärten Fan Robert Wyatt kooperierte.

„Unschuld und Verwüstung“ heißt nun ihr zehntes Studio Album und es ist ihr Debüt beim Berliner Label Staatsakt.

„It’s the end of the world as we know it“, zitiert Morgenstern gleich im ersten Stück R.E.M. und ihren Sänger Michael Stipe, nach dem ihr Album-Opener auch benannt ist. Eine Hommage – das R.E.M.-Stück aus dem Jahr 1987 ist auch über 30 Jahre nach seinem Erscheinen noch ein wirksames Pop-Mantra, das uns beim Aushalten von Widersprüchen hilft. Und Michael Stipe verbürgter Maßen bereits 2004 als Gast bei Barbaras Konzert im New Yorker Club Tonic gesichtet worden.

Im Grunde geht es auf „Unschuld und Verwüstung“ auf Albumlänge um ein Weiter-im-Trotzdem, um ein Irgendwie im Weiß-auch-nicht-so-genau, um den Wunsch nach Seelenfrieden – a peace of mind – und auch, wenn es uns immer unmöglicher erscheinen mag, darum, das Falsche endlich einmal richtig zu biegen! Und, ja, wenn es die Welt nicht hergibt, dann müssen die Zustände eben herbeigeträumt werden. Was das Hinüberretten von Traumwahrheiten in die sogenannte Realität angeht, ist Barbara Morgenstern ohnehin eine wahre Meisterin.

Der (Work-)Flow in ihren Songs ist dabei immer „schön und radikal“ zugleich. Spätestens wenn der Beat der Arbeit einsetzt, der auf „Unschuld und Verwüstung“ aber genauso oft auch wieder entspannt aussetzt und dem erquickenden Summen von Holzblasinstrumenten (eingespielt vom Berliner Saxophonisten Christian Biegai) Platz macht, glaubt man plötzlich auf einer abstrakten Future-R&B-Platte gelandet zu sein. Etwa in „Karriereleiter“, ein Song über die Geister von Schnöder Mammon & Co KG, auf die Morgenstern am Ende naturgemäß nicht hineinfällt. Aber bei aller Liebe und Entschiedenheit zur Kunst hinterfragt sie ihr Handeln und ihr Zweifeln trotzdem – wieder und weiter – wie eine Stadtneurotikerin auf Landpartie: „Hab ich das was ich tun wollte oder kam es mir nur so vor?“ (aus „Teil 1 oder Teil 2“).

Den Liedern auf „Unschuld und Verwüstung“ wohnt immer ein süßer Zweifel inne. Wie der gedeckte Apfelkuchen mit Sahne inmitten eines gentrifizierten Stadtbezirks. Er schmeckt ganz wunderbar mit seinen Zimt- und Vanille-Aromen, aber er täuscht nicht über die Brutalität des Makler-Haifischbeckens hinweg.

Maurice Summen

Text: Pressemitteilung

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