Nicht für den Moment: ROME setzt ein Zeichen

ROME – „The Tower“ / „The Hierophant“

Am Ende der Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Bestehen schlägt ROME kein versöhnliches Resümee auf, sondern ein neues, entschlossenes Kapitel. Mit den beiden Veröffentlichungen „The Tower“ und „The Hierophant“ legt Jérôme Reuter ein Zwillingswerk vor, das weniger Bilanz als Bekenntnis ist – und das sich bewusst der schnellen Vereinnahmung entzieht.

„The Tower“ ist ein Werk der Reduktion. Ein Album, das sich jedem Überfluss verweigert und gerade daraus seine eindringliche Kraft bezieht. Der radikal minimalistische Folk-Ansatz wirkt nicht karg, sondern konzentriert. Jede Note, jede Zeile scheint geprüft, zurückgenommen, auf ihre innere Notwendigkeit befragt. Die Musik steht still und ist zugleich in Bewegung – getragen von einer asketischen Disziplin, die Raum schafft für Bedeutung.

Der titelgebende Turm ist dabei weniger Ort als Zustand. Keine bauliche Struktur, sondern eine Chiffre innerer Festigung. Ein Standpunkt im geistigen Raum, errichtet gegen die Zerstreuung der Zeit. „The Tower“ wirkt wie ein Beobachtungspunkt, von dem aus nicht in die Ferne, sondern in die Tiefe geschaut wird. Reuter formuliert hier keine Parolen, sondern Haltungen. Seine Texte fordern Sammlung statt Konsum, Aufmerksamkeit statt Ablenkung. Er singt nicht für den Moment, sondern gegen das Vergessen.

Reuter agiert dabei weniger als Sänger denn als Chronist. Seine Lyrik ist von einer tragischen Klarheit, die historische Linien, Gegenwart und innere Erfahrung miteinander verschränkt. Die Sprache bleibt streng, fast spröde, und gewinnt gerade dadurch eine seltene Intensität. „The Tower“ ist kein lautes Statement, sondern ein glimmendes Zeichen – ein Werk, das trägt, statt zu glänzen.

„The Hierophant“ bildet dazu das rätselhafte Gegenstück. Wo „The Tower“ Rückzug und innere Disziplin markiert, öffnet sich „The Hierophant“ dem Transzendenten. Es ist ein geistiges Reisetagebuch, das vom Hafen der Sammlung über Landschaften der Trauer bis in mythisch aufgeladene Räume führt. Die Stücke wirken wie Stationen einer Initiation – halb enthüllt, halb verborgen.

Musikalisch bleibt Reuter dem reduzierten Folk treu, erweitert ihn jedoch um eine atmosphärische, fast rituelle Dimension. Gitarrenlinien, sparsame Perkussion und traumverlorene Streicher spannen einen klangmagischen Raum auf, der weniger erzählt als beschwört. Die Lieder entfalten sich langsam, verlangen Geduld und Wiederholung. Jedes Stück wirkt wie ein verschleiertes Gebet, ein Codex aus Zeichen und Andeutungen.

In einer Gegenwart, die sich zunehmend an der Oberfläche erschöpft, setzen diese beiden Alben einen bewussten Kontrapunkt. „The Tower“ und „The Hierophant“ richten sich nicht an beiläufige Hörer, sondern an jene, die noch nach innerer Form suchen. Nicht zur Unterhaltung, sondern zur Erinnerung. Nicht zur Flucht, sondern zur Wandlung.

Diese Doppelveröffentlichung ist kein Nebenwerk, sondern eine künstlerische Setzung von seltener Geschlossenheit. Ein Zwillingswerk von hypnotischer Konsequenz und bleibender Strahlkraft – und eines der eindringlichsten Statements im bisherigen Schaffen von ROME.

Text: Dennis Kresse

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