So tief, so hoch, so K waren sie noch nie: Drei Jahre nach dem zuletzt erschienenen “KARGO” und dreizehn Jahre nach dem Debüt “Mit K” vollziehen Kraftklub mit ihrem neuen Album “Sterben in Karl-Marx-Stadt” inhaltlich und musikalisch einen full circle moment. Der Sound der 2010er-Jahre ist wieder da und die Fünf aus Chemnitz sind immer noch anti. Und klingen trotzdem verändert. Von 12 Songs beschäftigt sich die Hälfte mit dem Tod oder zumindest einem Ende, wenn nicht vom Leben, dann von der Liebe, was sich bekanntermaßen ähnlich anfühlt. War es das jetzt? Werden sich Kraftklub in Chemnitz öffentlich direkt unter Karl Marx’ Nase selbst unter mehreren Tonnen roter Labubus beerdigen? Oder ist das alles nur ein großer PR-Stunt? Es wäre so naheliegend. Aber auch so langweilig.
Gerüchte über das Karriereende sind wahrscheinlich eine unvermeidbare Begleiterscheinung, wenn man als Band länger als 35 Minuten erfolgreich Musik zusammen macht. Und wenn dann auch noch “Sterben” im Titel steckt, scheint die Sache völlig klar. Stimmt ja auch: So viel Tod, Melancholie und Abschiedsworte gab es noch nie bei Kraftklub, obwohl schon auf “Kargo” erste Vorboten davon zu hören waren. Der Grund ist recht einfach: Das Leben ist in Karl-Marx-Stadt passiert, alle Facetten davon. Öffentlich beim Erwachsenwerden beobachtet zu werden bedeutet, entweder irgendwann auch die ernsten Themen aufzunehmen in die Kunst. Oder am Versuch zu scheitern, ewig jung zu bleiben, was meistens darin endet, fragwürdige neue Sneakers zu tragen. Dann doch lieber in ausgelatschten Vans vom Sterben singen.
Der Tod als große Klammer im Titel, in der Tracklist und in den Texten ist trotzdem kein Zufall. Als die Band zusammen mit einer befreundeten Band Anfang November 2023 einige Gigs in Mexico spielt, geraten sie zufällig in die Feierlichkeiten zum Día de los Muertos, zwei Feiertage, an denen die Toten geehrt werden mit lauten und bunten Festen, also ungefähr dem Gegenteil von Allerheiligen in Deutschland. Diesen völlig anderen Umgang zu erleben hat nachgewirkt. Und obwohl der Track “Kippenautomat” keine zentrale Rolle als Single einnimmt, ist er eigentlich der Grundstein für “Sterben in Karl-Marx-Stadt”– das Intro stammt von einem dieser Live-Gigs in Mexico. Und so geht Umgang mit dem Tod eben auch, Kraftklub-Style: Es fängt an mit einem “Dödödö” aus hundert Kehlen einer Clubcrowd und endet mit der Zeile “Diese gottverfluchte Stadt, sie hängt immer noch an dir”. Das Universum vergisst eben nichts.
Natürlich geht es aber auch wie immer um die andere Seite: Widerstand, Aufbruch, Feiern, wach, verknallt und unsterblich sein. Direkt der Opener “Unsterblich sein (*)” mit Domiziana brettert in bester Tradition los und kehrt dann als Reprise im Closing Track “Unsterblich sein (†)” wieder zurück, die Stimmen etwas rauer, die Instrumentierung reduzierter. Es geht nicht mehr nur um den Rausch, sondern auch den Kater danach. Dementsprechend sind die vertretenen Features ein bunter Querschnitt durch die deutsche Musiklandschaft. Domiziana, Faber, Nina Chuba und Deichkind ergänzen die Tracks mit ihren jeweils ganz eigenen Spezialgebieten, zum Beispiel Amphetamine, Arrividerci, Abgründe, Abriss. “All die Worte, nie gesagt, jetzt bin ich fort, nehm sie mit ins Grab”, singt zum Beispiel Faber auf “All die schönen Worte”, die Stimme durchdringend wie ein Todesengel. Aber er hat ja Recht: Alles muss raus, am besten, solange man noch lebt. Dagegen ist “Zeit aus dem Fenster” zusammen mit Deichkind der psychologisch wichtigste Kontrapunkt der Tracklist, denn Zeit (und Gehirnzellen) aus dem Fenster zu werfen ist wahrscheinlich die beste Art, das Leben zu feiern (und bei dem Beat bleibt auch nichts anderes übrig).
An der Single “Wenn ich tot bin, fang ich an” führt kein Weg vorbei, allein schon wegen der Hook “Wenn ich tot bin, fang ich wieder an zu rauchen”. Humor war schon immer ein Kernelement des Kraftklub-Songwritings und wenig überraschend funktioniert er dann umso besser, wenn es um eher unlustige Themen geht. Eine Song-Kategorie, die auf keinem Album fehlen darf, ist der Meta-Track. “Halt’s Maul und spiel” ist feinster Bierpunk mit großem K und auch wenn einige Fans der ersten Stunde mittlerweile gekleidet in Business Casual am Schreibtisch sitzen, Zeilen wie “Auf der Bühne ist kein Platz für Kluggescheiße, Schlaugequatsche, spielt uns Lieder über Schnaps!” werden gegen ihre corporate Bandscheibenbeschwerden oder rechtskonservative Kleingartenfantasien helfen.
Felix Kummer sagt, es sei durchaus auch darum gegangen, eine neue Sprache für den Tod zu finden. Eine Normalität, eine Sagbarkeit dessen, was sonst nur im Inneren stattfindet, dort aber eher zu Isolation führt als zu Verarbeitung. Dass dies Entwicklung auf dem Album einer Band passiert, die mit Hooks wie “Ich schieße in die Luft, bang bang bang” bekannt geworden ist, ist kein Widerspruch, sondern genau die Art von Frontalunterricht, die hierzulande zu diesen Themen fehlt.
Wo Kummer vor vier Jahren noch das Bedürfnis hatte, Dunkelheiten auf einem Soloalbum separat zu verarbeiten, ist mittlerweile beides vereinbar im Bandkontext – Schüsse in die Luft und Flennen, zur Not gleichzeitig. Und so ist das jetzt. Kraftklub klingen ein bisschen anders auf diesem Album. Nicht so, dass sie ihren ursprüngliche DNA verloren hätten, aber eben doch erwachsener, geprägt vom Leben. Das passiert, wenn man das Glück hat, lange genug dabei zu sein. Und war es das jetzt? Wenn man nach diesem Album eines gelernt hat, dann dass das Ende nie dann
kommt, wenn man es erwartet. Oder, wie Porky sagt: “Nirvana ist nicht, hier wird sowieso wiedergeboren.” Auf ins nächste Leben.
Text: Pressemitteilung
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