The Beatles – Anthology 4: Ein Blick durchs Schlüsselloch der Popgeschichte

The Beatles – Anthology 4: Ein Blick durchs Schlüsselloch der Popgeschichte

Mit Anthology 4 öffnet sich ein weiteres Kapitel im niemals endenden Archiv der Beatles – ein Projekt, das ein erneuter Zugriff auf einen musikalischen Mythos, der sich auch 60 Jahre später noch weiter erzählen lässt, ist. Wer dachte, nach den ersten drei Teilen sei alles gesagt, findet hier das Gegenteil: Dieses vierte Kapitel liefert neue Facetten, neue Fragmente und neue Überraschungen, die selbst abgebrühte Beatles-Kenner aufhorchen lassen.

Die Sammlung setzt auf das, was die Anthology-Reihe immer auszeichnete: unveröffentlichte Takes, frühe Songskizzen, teils unfertige Proben und alternative Versionen, die den kreativen Prozess greifbarer machen als jede Legende. Anthology 4 konzentriert sich dabei stärker auf die späten Jahre, in denen das Studio zum Labor wurde und die Beatles zu wagemutigen Klangforschern mutierten. Genau das macht den Reiz aus: Man hört Ideen, die aufblitzen und wieder verschwinden, Harmonien, die ausprobiert werden, und Arrangements, die noch in der Schwebe hängen.

Einer der Höhepunkte ist eine frühe, fast intime Version von „Strawberry Fields Forever“, die John Lennons Stimme fragiler und durchlässiger zeigt als jede veröffentlichte Fassung. Auch Paul McCartneys Arbeitsdemos zu „Got to get you into my life“ öffnen ein Fenster in seine damals schier unerschöpfliche Melodiequelle. George Harrison steuert mehrere faszinierende Momentaufnahmen bei, die zeigen, wie viele seiner Ideen zwischen 1968 und 1970 schlicht keinen Platz mehr auf den Alben fanden. Und ja: Selbst Ringo, oft unterschätzt, bekommt hier neue Anerkennung durch rhythmische Experimente, die man sonst nur erahnte.

Klanglich präsentiert sich Anthology 4 in gewohnt hoher Qualität. Die Remastering-Arbeit verleiht selbst bröckeligen Archivfetzen eine erstaunliche Klarheit, ohne den historischen Charakter zu verfälschen. Es klingt nicht poliert – und soll es auch nicht. Die Magie entsteht gerade in dieser Rohheit: Man hört Fehler, Lachen, Abbrüche, Wortwechsel. Genau darin liegt die Wahrheit dieser Band.

Natürlich ist Anthology 4 kein Einstiegsalbum. Es ist ein tiefes Eintauchen für jene, die nicht nur die Songs lieben, sondern auch den Entstehungsprozess dahinter. Wer auf Hits hofft, ist hier falsch. Wer aber den Beatles auf die Finger schauen will, wie sie aus Ideen Welthits formten, findet hier reiche Beute.

Anthology 4 ist kein Nostalgieprodukt, sondern ein wichtiges Puzzle-Teil der Popgeschichte – ein faszinierender Blick in die Werkstatt der vielleicht kreativsten Band aller Zeiten. Ein Geschenk für Fans, ein Dokument für Historiker und ein weiterer Beweis dafür, dass die Beatles sich immer noch neu entdecken lassen.

Text: Dennis Kresse

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